KOLUMNE

Geblitzdingst ins neue Jahr

Startseite
Kolumne
Wenn die Sonne bereits nach dem Mittagschlaf um 14:56 Uhr auf Halbmast steht, sich jeder Atemzug in der Atmosphäre als kleine Nebelschwade Aufmerksamkeit verschafft und Schokoladennikoläuse in der Regalen der Supermärkte stehen, neigt sich das Jahr langsam, aber sicher dem Ende zu. Wie eine gute Flasche.
Leicht wehmütig blickt man auf den letzten Schluck 2025. Auf das Pfützchen Restjahr, das sich am Glasboden gesammelt hat. Da schwimmt er, ein weiterer Lebensabschnitt: Tage wie Tropfen, die langsam verdunsten. Man entsinnt an den ersten Schluck. Denkt an den zweiten Schluck. Daran, wie sich alles entwickelt hat. Spult vor. Und zurück. Lässt die Geschichte Revue passieren, blickt wieder auf den letzten Schluck, lässt das Nass im Glas zirkulieren, riecht ein letztes Mal, setzt an und versenkt den letzten Tropfen.

Leicht wehmütig blickt man auf den letzten Schluck 2025. Auf das Pfützchen Restjahr, das sich am Glasboden gesammelt hat.

Meine persönlichen Wein-Highlights dieses Jahr? Ein Gevrey-Chambertin 1er Cru „Clos St. Jacques“ 2006 von der Domaine Fourrier. Ein Puligny-Montrachet 1er Cru „Folatieres“ 2009 von Bernard-Bonin. Oder ein Bâtard-Montrachet Grand Cru von Leflaive aus 1999. Auch ein Clos de Tart Grand Cru 1997 war ganz wunderbar. Doch auch der Trousseau „Plein Sud“ 2022 und der Chardonnay „Les Chamois du Paradis“ 2019 von Jean-François Ganevat haben einen Platz auf meiner Bestenliste, was auch für die Weine von Clos Rougeard, einen Nebbiolo vom Weingut Dislivelli und eine Flasche Gamay von Lucas Madonia gilt.

Aus Deutschland haben mir drei Weine besonders gemundet: allesamt Spätburgunder. Eine Flasche „Kanzel“ 2019 vom Weingut Wasenhaus, der „Berg“ 2023 von kleines gut aus Uhlbach und eine „Sommerhalde“ 2012 von Bernhard Huber. Solide gesoffen, könnte man sagen.

Das Jahr für die Branche? Gesamt betrachtet? Wie großer Wein: von vielschichtiger Komplexität. Wirtschaftlich gesehen eine schwierige Nummer. Im Gegensatz zum Meeresspiegel sinkt der Pro-Kopf-Konsum, der Klimawandel platzt ungefragt in Weingärten, die WHO nervt, der generelle Gesundheitswahn boomt weiter und dann wäre da noch eine komplett zurückgebliebene, nach innen gewandte Medienlandschaft, die mich dermaßen nervt, dass ich am liebsten Molotowcocktails aus Weinflaschen in die Redaktionen der Republik jagen würde.

Das Jahr für die Branche? Wie großer Wein: von vielschichtiger Komplexität.

Für 2026 wünsche ich mir, dass wir pilzrestistente Rebsorten weniger belächeln. Dass wir weniger über Terroir, schmeckbare Herkunft und Bundsandstein plappern wie Pfadfinder, sondern Wein wirklich erlebbar machen. Weniger inzestuöses Gehabe, mehr Quantensprung. Journalismus für neue Zielgruppen. In frischer Sprache. Weniger Versteigerungen, mehr Pop-ups. Weniger Kloster Eberbach, mehr so: Hinterhof. Mehr easy Blabla, nix Masterclass. 2026 muss sich einiges tun, wenn wir als Branche bestehen wollen. In jeglicher Hinsicht. Eigentlich, und davon bin ich überzeugt, sollten wir gänzlich vergessen, wie wir gelernt haben, Wein zu greifen, um anschließend komplett von vorne zu beginnen. Als hätte uns jemand geblitzdingst. Wie passend, dass jeder Jahreswechsel ein kleiner Neuanfang ist.
Milton Sidney Curtis, der Wein-Influencer und freie Autor bewegt mit Wortwitz, Biss und Charme schreibend die Weinwelt. Ob feine Tropfen kleiner Weingüter oder Markenweine von Global Playern: Sidney probiert, rezensiert und polarisiert. Ein selbsternannter „Silly Ass“ für alle, die Wein lieben!

Folge Sidney auf Instagram
Seite bewerten

Willkommen bei wine.vino.wein – dem Magazin für Weinliebhaber

In unserem Magazin findest du redaktionelle Beiträge und Informationen rund um das Thema Wein. Da wir uns für einen verantwortungsbewussten Umgang mit alkoholischen Getränken einsetzen, richtet sich der Inhalt ausschließlich an Erwachsene und du musst mindestens 18 Jahre alt sein, um wine.vino.wein zu besuchen.
Das Overlay schließen / Close the overlay
Bitte warten...