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Von Hitzköpfen und Sommersonne

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Wenn der Feuerball wieder fleißig Flammen spuckt und der Asphalt glüht wie Steph Currys Handgelenk nach dem Finale der Olympischen Spiele in Paris, yes, Baby, dann ist endlich Sommer. Die heimtückische Placebo-Jahreszeit, die uns allen kurz im Vitamin-D-Rausch vorgaukelt, dass alles gut wird, obwohl uns die Welt jede Sekunde um die Ohren fliegen könnte, weil kleine Männer mit großen Egos Krieg spielen.
Das Wetter tropisch, die Stimmung dystopisch, was sich hier ganz ungezwungen und zufällig reimt, Zwinker, Zwinker, ist momentan gelebte Realität. Der Status quo: Apokalypse jetzt! Yippie-Ya-Yeah, Schweinebacke! Deshalb ziehen wir diesen Sommer Flaschen auf, als würden wir Mobbing betreiben. Ob großes Etikett oder Bonsai-Betrieb, Drehverschluss oder Glaskorken, Selektion Massale Pinot Noir oder Dornfelder-Mutation aus einem Kuhkaff in Tschernobyl: Ab aufs Eis mit den Pullen, als würden sie Schlittschuhfahren, dreimal tief durchatmen und ab geht’s.
Ab aufs Eis mit den Pullen, als würden sie Schlittschuhfahren.

Auch wenn ich mich im zweiten Jahr meiner Selbstständigkeit befinde und kofferweise Zaster auf die hohe Kante legen sollte, habe ich mir fest vorgenommen, das Leben diesen Sommer härter denn je zu genießen. Wer weiß schon, wann es rum ist? Die absolute Gönnung. Hardcore-Hedonismus, YOLO, Sternzeichen Lebemann, Aszendent Montrachet. Meine geliebte Mutter hat mich nicht 9 Monate im Bauch herumgetragen, auf Tankstellen-Sushi, Sportzigaretten und Prosecco auf Eis verzichtet und mich unter metaphysischen Qualen in die Welt gespült, damit ich mir 32 Jahre später von einem Karottenkopf und seinen grenzdebilen Verlierer-Freunden die Laune vermiesen lasse.

Im Sommer wird laut Statistiken sowieso mehr Wein getrunken. Der #DryJanaury ist rum wie Bacardi, der Juni auch fast Geschichte, der Juli steht in den Startlöchern und wird spektakulär saftig wie’n Sonntagsbraten auf Steroiden. Studien zeigen, dass der Weinkonsum während der Heißzeit, insbesondere zur Feriensaison, meist ansteigt, wie der Meeresspiegel, wenn Gletscher schwitzen, was wiederum auf einen entspannteren Lebensstil zurückgeführt werden kann, der auf dem Celsius-Plus und einer Extraportion Freizeit basiert. Richtig: Das, was als Arschwasser den Körper verlässt, wird sich am Weinglas wieder zurückgeholt.

Im Sommer trinke ich alle Weine gerne straight aus dem Kühlschrank. Am besten aus dem Eisfach. Schockgefroren wie’n Eisbär-Arsch, rot, weiß, grün-gelb-kariert, ganz egal, kalt müssen sie sein, so kalt wie das politische Klima, kalt, kalt, kalt. Warm werden sie von allein. Der steinzeitliche Tipp, Rotweine bei Raumtemperatur zu trinken, stammt sowieso aus einer Zeit, in der es noch Hexenverbrennung gab und munter in Burggräben gestrullt wurde. Damals. Früher. Die gute alte Zeit. Als es noch keine Zentralheizung gab und der Klimawandel noch ein Fremdwort war. Jetzt prognostizieren die Wetterfrösche dieser Welt wieder quakend den nächsten Rekord-Sommer.

Wenn die City selbst zum großen Kachelofen wird, braucht es zum Glück keine Kaminrotweine. Die braucht es generell nie, außer zu einem Bollen Fleisch und den Scheidungspapieren, aber das war’s auch schon. Im Sommer trinken wir saftige Spätburgunder mit kurzer Maischestandzeit, die nicht in solariumgebräunten Fässern zu Holzsuppe verschandelt wurden, frische Gamays aus dem Beaujolais, Macération-Carbonique-Style, hellfruchtige Lemberger mit Zug, die lediglich sanft gepresst und nicht ausgewrungen wurden und ganz oben mit dabei: der Trollinger. Kein Rotwein dieser Welt lässt sich gekühlt besser trinken als unsere Schwabenmilch. Wer hier zu Qualitäten greift, die sich fernab restsüßer Genossenschaftsgülle bewegen, wird mit absurd saftigen Hydranten belohnt.

Sonne, Vitamin D, die Leichtigkeit des Seins … deshalb trinke ich wie immer Weine aus Deutschland.
Der große Vorteil am Sommer? Wenn das Wetter gut ist, muss man sich nicht mehr mit flüssigen Portalen an Sehnsuchtsorte beamen. Endlich keine Fernwehwehchen mehr, weil das, was man stets im Winter herbeisehnt, nun auch endlich in die Heimat dippt: Sonne, Vitamin D, die Leichtigkeit des Seins, der strahlend blaue Himmel. Deshalb trinke ich wie immer Weine aus Deutschland und keinen Lugana-Murks oder himbeerdropsigen Rosé aus der Provence.

Und dennoch ist da dieses Fernweh. Diese seufzende Sehnsucht. Nicht nach einer anderen Stadt oder einem anderen Land. Nicht nach dem Strand. Der Côte d’Azur. Amerika. Frühstück im Bett. Sekt auf Eis. Den Malediven. Sondern die Sehnsucht nach einer anderen Welt, einem neuen Planeten, einem Ort, das nicht jede Sekunde hopsgehen könnte. Jetzt sind wir eben hier. Auf Mutter Erde. Dem blauen Planeten. Was bleibt uns auch anderes übrig? Machen wir das Beste daraus. Dazu gehört wie immer Wein. Schließlich gibt es davon auf dem Mars ja keinen. Soweit ich weiß. Mmh. Vielleicht ist es hier eben doch gar nicht so schlecht. Hach.

Cheers und aufs Leben!

Milton Sidney Curtis, der Wein-Influencer und freie Autor bewegt mit Wortwitz, Biss und Charme schreibend die Weinwelt. Ob feine Tropfen kleiner Weingüter oder Markenweine von Global Playern: Sidney probiert, rezensiert und polarisiert. Ein selbsternannter „Silly Ass“ für alle, die Wein lieben!

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