Das geht an all meine Winterblues Brothers und Sisters da draußen: Wir schaffen das! Der Januar, dieser Montag von Monat, ist endlich vorbei und auch den Februar packen wir. Tief durchatmen, die Merkel-Raute formen, Yogi-Tee trinken, ein Insektenhotel bauen, Urzeitkrebse züchten. Yes, wir schaffen das. Einmal blinzeln und schon stehen als Osterhasen wiedergeborene Nikoläuse in den Regalen der Supermärkte. Die Jacken werden langsam zu Carpaccio, Krokusse blühen, Vögel zwitschern, noch dreimal schlafen und dann ist auch schon wieder Junimond, Mückenspray und Arschwasser angesagt.
Engpässe bei der Endorphin-Produktion im Hause Milton Sidney Curtis.
Realtalk: Mein Start ins neue Jahr war semigeil wie schlecht synchronisierte Schmuddelfilmchen. Die erste Woche habe ich flachgelegen, weil ich mir den Magen verdorben habe und momentan bin ich so antriebslos wie ein Faultier auf acht Pullen WICK MediNait.
Der Winterblues kickt. Am Himmel eine endlose Farbpalette aus Grautönen, heftige Vitamin-D-Mangelerscheinungen und auch die politische Lage, die sich momentan irgendwo zwischen historischem Entertainment und totalem Nervenzusammenbruch befindet, sorgt für Engpässe bei der Endorphin-Produktion im Hause Milton Sidney Curtis.
Ein Glück habe ich kleine Mood-Booster in petto, die mich durch den Winterblues tragen. Ich verbarrikadiere mich in meinem Teddy-Fleece, schlüpfe in eine lange Unterhose und beame mich mit einem Wein ans andere Ende der Welt. Nach Sizilien beispielweise, an die Nordseite des Vulkans Ätna. Oder doch lieber an die Küste Kataloniens? Wie wäre es mit dem Sonoma Valley oder Stellenbosch in Südafrika? Falls ich Heimweh bekommen sollte, geht es eben wieder ins gute Baden-Württemberg. Vielleicht mit Boxenstopps im Jura oder an der Loire oder ich verwerfe die Reisepläne komplett und beame mich direkt nach Portugal, wo mir die Suche nach autochthonen Schätzen Schweißperlen auf die Stirn treibt. Weine wie flüssige Portale, kleine Vehikel, die uns an ferne Orte teleportieren – ich mag diesen Gedanken. Wir bereisen die Welt mit dem Gaumen, unseren Sinnen, der Seele. Irgendwie romantisch, irgendwie süß, ich mag das. Alles, was wir dafür brauchen, sind ein Glas Wein und etwas Fantasie, et voilà, that’s it. Das Leben kann so einfach sein.
Wir bereisen die Welt mit dem Gaumen, unseren Sinnen, der Seele.
Die schlauen Exemplare unter uns fahren natürlich in den Urlaub, während wir, die Wohnzimmer-Touristen der Republik, unsere Fernwehwehchen lindern, indem wir uns traumtänzerisch in andere Regionen dieser doch so absurden Welt hechten. Gemütlich auf der Couch liegend. Mit Burgunderkelchen wie Flugtickets, um Vielfliegfermeilen mit dem Gaumen zu sammeln. Gedimmtes Licht, eine schmusige Playlist auf den Ohren, nur der Wein und wir. Dazu gibt es Speisen, die der Seele schmeicheln. Kartoffelgratin mit viel Butter, noch mehr Sahne und Unmengen an Käse. Eine Wendeltreppe aus Fettstufen, die uns in den Genusshimmel führt. Dazu vielleicht ein grüner Alibi-Salat mit säurebetonter Vinaigrette, der das Fett durchschneidet wie ein Schwert. Ein knackiger Silvaner passt gratiniert, sorry, Freud’scher Versprecher, garantiert dazu.
Mit Burgunderkelchen wie Flugtickets, um Vielfliegfermeilen mit dem Gaumen zu sammeln.
Falls das nichts ist: auch okay. Allen, die nicht daran interessiert sind, Hüftgold zu schürfen, empfehle ich einen fruchtigen Sugo aus sonnengeknutschten Dosentomaten. Wenn diese jetzt noch aus San Marzano stammen, hat der globetrottende Gaumen gleich ein neues Domizil für Gedankenspiele. Weintechnisch ist das Gericht sowieso ein Universalgenie. Ob rot oder weiß, kräftig oder leicht, fruchtbetont oder knochentrocken: alles geht, nichts muss. Ich persönlich entscheide mich für einen saftigen Gamay, der, insbesondere, wenn intrazellulär vergoren, in Frankreich sagt man Macération Carbonique, perfekt zur fruchtigen Sauce passt. Meine Geheimzutat: gemahlene Fenchelsamen. Aber pst, nicht weitersagen!
Ansonsten hilft mir eine riesige Portion dummschlauer Humor im Kampf gegen den Winterblues. Viel lachen, laut lachen, Hauptsache lachen. Über mich selbst, die Dummkopfwelt da draußen und meine ulkigen Mitmenschen. Hin und wieder a stupid little walk for my stupid mental health, ein intensives Selbstgespräch und etwas Sport mit den Jungs plus lecker Bierchen im Mattenraum danach. So strotze ich der winterlichen Tristesse. Mit den richtigen Menschen an meiner Seite gelingt mir das meist. Und allen, denen das nicht hilft, schicke ich eine dicke Umarmung. Inklusive platonischem Pograpscher und gehauchtem Kuss. Wir schaffen das. Wirklich. Ich weiß es. Der Januar, dieser Montag von Monat, ist endlich vorbei und auch den Februar packen wir. Ehrenwort.
Milton Sidney Curtis, der Wein-Influencer und freie Autor bewegt mit Wortwitz, Biss und Charme schreibend die Weinwelt. Ob feine Tropfen kleiner Weingüter oder Markenweine von Global Playern: Sidney probiert, rezensiert und polarisiert. Ein selbsternannter „Silly Ass“ für alle, die Wein lieben!
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