Was Wein und Kunst miteinander verbindet und wo sich die beiden Kulturgüter im Alltag begegnen, ist eine Frage, die ich mir ehrlich gesagt selten stelle.
Der Weg zu berührendem Wein ist immer eine kaleidoskopische Aneinanderreihung handwerklicher Kniffe und künstlerischer Entscheidungen, die jeweils durch persönlichen Geschmack, jahrgangsbedingte Gegebenheiten, betriebslogistische Parameter und artisanale Ehrenkäsigkeit herbeigeführt werden. Das dabei gekelterte Ergebnis wird auf Flasche geschnipst, irgendwann aufgezupft und der Rest ist Geschichte, die sich bestenfalls dermaßen tief in den Morast der Seele bohrt, dass sie dort neben der verschwommenen Erinnerung an den ersten Kuss für immer verweilt.
Wein ist immer ein klitzekleines bisschen Kunst - wenn er berührt und Menschen miteinander verbindet.
Insofern ist Wein irgendwie immer ein klitzekleines bisschen Kunst. Zumindest, wenn er berührt. Menschen miteinander verbindet. Eine Geschichte geprägt von Machart und Herkunft erzählt. Von Böden und klimatischen Gegebenheiten. Jahrgängen. Niederschlägen und Höhepunkten. Den Bedingungen im Keller. Und vor allem: von den vinophilen Vorlieben des Menschen, der ihn keltert und vinifiziert. Wann wurde geerntet und ganz wichtig: wie? Mensch oder Maschine? Wie wurden die Weingärten bewirtschaftet? Herbizidfrei und biodynamisch oder glyphosatgeschwängert? Wie wurde vergoren? Spontan oder mit Reinzuchthefen? Auf der Maische? Intrazellulär? Wie wurde anschließend gepresst? Wurde das Lesegut aggressiv ausgewrungen oder der Saft nur sanft aus den zarten Beeren gekitzelt? Ist der Wein filtriert? Wie lange durfte er reifen? Und ganz wichtig: worin? In Barriques, Tonneaus oder Fudern? Und von welcher Fassbinderei stammen die jeweiligen Gebinde? Neues Holz, altes Holz oder gar kein Holz, da das Weingut lieber auf Stahltanks, Glasballons oder Betoneier setzt? Und zu guter Letzt: Schwefel oder kein Schwefel? Hier verschwimmen die Grenzen von Handwerk und Kunst meiner Meinung nach, weil sie handwerkliches Geschick, doch auch persönliche Präferenzen fließend miteinander verweben, die stets einer künstlerischen wie gustatorischen Fährte folgen.
Genossenschaftsgrobiane und Global Player, die getränketechnologische Erzeugnisse in den Markt pumpen, um Generation Gourmeggle lieblos abzudichten, sind hiervon natürlich so weit entfernt wie meine Kloschüssel nach einer Runde Espresso-Doppio-Sprühstuhl von einem Jackson-Pollock-Gemälde.
Interessant wird es, wenn Kunst physisch auf Wein trifft. Wie beispielsweise auf den ikonischen Etiketten von Mouton Rothschild, einem Château in Pauillac, das durchaus schmackhaften, allerdings für Ottonormalos arschteuren und oftmals etwas kosmopolitisch glattgekelterten Wein auf Flasche zieht und Flaschenbäuche mit Künstleretiketten zu kleinen Leinwänden macht. Ob die Etiketten die Weine besser machen? Natürlich nicht. Sicher ein nettes Gimmick und Marketing-Tool für das weingutseigene Storytelling und weiteres Mystifizieren der Marke, doch schlussendlich zählt nur, was in die Schnabeltasse schwappt.
Lieber Kunst in der Flasche als Kunst auf der Flasche, um es in astreinem Wand-Tattoo-Sprech zu sagen.
Mich persönlich interessieren Etiketten nicht arg, um ehrlich zu sein. Natürlich gibt es Exemplare, die mich in ihrer Klarheit abholen, wie beispielsweise die Etiketten vom Weingut Lassak in württembergischen Hessigheim und auch buntere Vertreter wie Julien Renards Kirchenfenster gefallen mir gut, doch in Summe scheißegal wie Hundehaufen. Lieber Kunst in der Flasche als Kunst auf der Flasche, um es in astreinem Wand-Tattoo-Sprech zu sagen.
Doch auch ohne künstlerisch überkandidelte Inszenierung auf Flaschenbäuchen und ausschweifendem Sektempfang bei der Vernissage lassen sich Parallelen zwischen Wein und Kunst ziehen. Wein hat Seele. Wie Kunst. Wein beflügelt. Wie Kunst. Wein verbindet Menschen miteinander, löst Diskussionen aus, regt an und regt auf, berauscht, beflügelt und berührt – wie Kunst. Wein erzählt Geschichten. Und auch der Weg zum fertigen Ergebnis ist geprägt von Niederschlägen und Höhepunkten. Von Verzweiflung und Größenwahn. Wie in der Kunst. Stilistiken wie Genre. Keller wie Ateliers, Flaschen wie Leinwände, Wolfang Beltracchi, Rudy Kurniawan, Pablo Picasso, Aubert de Villaine, die Übergänge sind fließend. Wie Wein.
Ob dieser nun wirklich entkorkte Kunst oder trockenes Handwerk ist, will ich nicht sagen. Vielleicht einigen wir uns einfach darauf, dass Wein weder Kunst noch Handwerk ist, sondern ein Kunsthandwerk von kosmischer Kraft, das uns alle zutiefst berührt. Oder anders gesagt: Vielleicht ist Wein keine Kunst, sondern Kunst einfach Wein. Schon mal darüber nachgedacht?
Milton Sidney Curtis, der Wein-Influencer und freie Autor bewegt mit Wortwitz, Biss und Charme schreibend die Weinwelt. Ob feine Tropfen kleiner Weingüter oder Markenweine von Global Playern: Sidney probiert, rezensiert und polarisiert. Ein selbsternannter „Silly Ass“ für alle, die Wein lieben!
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