Goldene Stunden im Weinberg
Wenn morgens der Nebel über den Reben hängt und die ersten Trauben im Korb landen, beginnt für Winzer die spannendste Zeit im Weinberg: Der Herbst. Der Herbst ist mehr als eine Jahreszeit – er ist ein Schlüsselmoment für den Wein. Jetzt entscheidet sich im wahrsten Sinne des Wortes, ob die Mühen eines ganzen Jahres Früchte tragen
Die Kunst des perfekten Moments
Doch Weinlese bedeutet weit mehr, als einfach nur Trauben zu pflücken. Es ist eine sensible Entscheidung: Wann ist der perfekte Zeitpunkt? Ein paar Tage zu früh und die Beeren bringen zwar Säure und Frische, aber noch nicht genug Aroma. Ein paar Tage zu spät und Regen, Fäulnis oder Vögel können die Arbeit eines ganzen Jahres zunichtemachen. Die Weinlese ist ein Balanceakt zwischen Natur und Handwerk, Erfahrung und Intuition.
Jeder Handgriff hinterlässt Spuren, die man im Glas schmeckt.
Winzer sprechen oft von der „physiologischen Reife“. Damit meinen sie, dass nicht nur Zucker und Säure im Gleichgewicht sind, sondern auch die Aromen und die Tannine im Kern der Beere ausgereift sind. Und natürlich spielt auch das Wetter eine entscheidende Rolle: Warme Tage und kühle Nächte schenken den Trauben die Aromen, die wir später als Zitrusfrische, Pfirsichduft oder mineralische Würze im Glas wiederfinden. Ein später Regen kann jedoch die Lese erschweren.
Dazu kommen die Einflüsse des Bodens: ob karger Schiefer oder fruchtbarer Löss, er bestimmt, wie die Trauben reifen und welche Nuancen später im Glas landen. Selbst der Zeitpunkt des Lesens, der Schnitt der Reben oder die Art der Laubarbeit wirken sich unmittelbar auf den Charakter des Weins aus. Jeder Handgriff hinterlässt Spuren, die man im Glas schmeckt. Kurz gesagt: Im Herbst entscheidet sich, ob ein Wein lebendig, elegant oder kraftvoll wird. Jede Stunde, jeder Handgriff macht den Unterschied.
Wusstest Du schon?
Wenn wir in Europa im Herbst die Weinlese feiern, beginnt auf der Südhalbkugel gerade der Frühling. Während Winzer in Deutschland, Frankreich oder Italien die Trauben einholen, kümmern sich ihre Kollegen in Australien, Chile oder Südafrika um die Pflege der Reben und den Boden, damit die nächste Lese im März/April gelingen kann. Weinbau folgt überall dem gleichen Rhythmus – nur eben zeitversetzt.
Was machen Winzer im Herbst?
Nach der Reifung der Trauben und der Weinlese wird es im Weinberg keineswegs ruhig. Der Herbst ist für Winzer eine Zeit voller Entscheidungen und Arbeiten, die den Grundstein für die nächste Saison legen.
- Reifung der Trauben: Auch im Frühherbst reifen die Trauben noch nach. Winzer beobachten täglich Zucker- und Säurewerte, um den perfekten Erntezeitpunkt nicht zu verpassen. Jede Wetteränderung kann hier entscheidend sein.
- Weinlese: Sobald die Trauben ihren Höhepunkt erreicht haben, beginnt die eigentliche Ernte – je nach Region und Rebsorte früher oder später im Herbst. Ob von Hand oder maschinell: Die Lese ist der zentrale Moment des Jahres.
- Rebschnitt: Erste Korrekturen an den Rebstöcken werden gesetzt, um die Reben in Form zu bringen und für das kommende Jahr vorzubereiten.
- Laubpflege: Das überflüssige Grün wird reduziert – so kann die Rebe Kraft sparen, während die letzten Blätter den Stock noch mit Energie versorgen.
- Bodenpflege: Zwischen den Reben wird gelockert, begrünt oder eingesät. Eine gesunde Bodenstruktur sorgt dafür, dass die Rebe im Frühjahr gesund austreibt.
- Kellerarbeit: Parallel brodelt es im Weingut: Die ersten Moste gären, Temperatur und Verlauf werden kontrolliert. Winzer pendeln in diesen Wochen zwischen Weinberg und Keller – draußen schneiden, drinnen probieren.
- Kontrolle der Resternte: Nicht jede Traube landet sofort im Keller. Besondere Spezialitäten wie Beerenauslesen oder Trockenbeerenauslesen entstehen erst, wenn die Trauben länger hängen bleiben. Hier braucht es Geduld – und tägliche Kontrolle, bis Botrytis (Edelfäule) den gewünschten Zauber vollbracht hat.
Der Oktober nimmt eine Doppelrolle aus Abschluss und Neubeginn ein: Während ein Jahrgang auf die Flasche zusteuert, wird der nächste schon vorbereitet
Fakten zur Weinlese
- Rund 500 Arbeitsstunden pro Hektar investiert ein Winzer im Jahr – ein Großteil davon entfällt auf die Herbstmonate.
- Je nach Region dauert die Lese zwischen 2 und 6 Wochen.
- Bei der Handlese schafft ein Traubenleser rund 100–150 Kilo pro Stunde – oft dauert sie Tage oder gar Wochen. Mit dem Vollernter hingegen lassen sich mehrere Hektar in wenigen Stunden ernten.
- Der Zuckergehalt im Traubenmost wird in Oechsle gemessen: Ein Spiel, das im Herbst täglich spannend bleibt.
Herbstmomente zwischen Ernte und Emotion
Der Herbst ist für Winzer eine Zeit voller Gegensätze: harte Arbeit und große Erschöpfung, aber auch tiefe Freude und Dankbarkeit. Während der Weinlese kommt der Körper an seine Grenzen, die Tage sind oft lang und anstrengend. Gleichzeitig ist die Weinlese immer ein besonderer Höhepunkt: Trauben, die monatelang gehegt wurden, finden endlich ihren Weg in den Keller. Manchmal entscheidet ein einzelner kühler Morgen über den perfekten Zeitpunkt.
Im Bioweinbau ist die Lese noch stärker von Handarbeit und Achtsamkeit geprägt. Hier zählt nicht allein die Technik, sondern auch das Gespür für den richtigen Moment: Winzer gehen regelmäßig durch die Weinberge, probieren Beeren, prüfen Blätter und Boden, um die Reife zu bestimmen. Gelesen wird oft in den frühen Morgenstunden, wenn die Früchte noch kühl sind.
In unserem WeinChat sprechen wir mit Urban T. Stagård vom Lesehof Stagård über Bio-Weinbau, den besten Moment für die Lese und unvergessliche Augenblicke.
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Am Ende bleibt neben den Zahlen im Keller immer auch ein emotionaler Moment: Herbst ist ein Höhepunkt des Jahres. Herbst heißt gemeinsam anzupacken, die Früchte des Jahres zu ernten, aber auch ein Moment des Innehaltens – und dabei schon den Grundstein für die nächste Saison zu legen.